Kaspar Löhle und die Pfahlbauten


Sie sind fast alle unsichtbar. Sie befinden sich zum grössten Teil am Boden von Seen oder sind im Sand an den Ufern verschwunden. Trotzdem zählt sie die Unesco zum Welterbe der Menschheit: Die Pfahlbauersiedlungen des Alpenraums gehören zu den wichtigsten archäologischen Stätten für das Verständnis der Entwicklung des Menschen zwischen der Jungsteinzeit und der Bronzezeit.

Das Wasser und der Sand der Seen haben beste Bedingungen geschaffen, damit Teile dieses grossen prähistorischen Archivs bis in die Neuzeit überlebt haben. Das organische Material, das unsere Vorfahren benutzten – Holz, Leder, Textilien, Knochen und sogar Nahrungsreste – blieb in den Seen viel besser erhalten als anderswo, wo Luft, Wetter und Zerstörung durch den Menschen den Altertümern zusetzten.

Seit vor eineinhalb Jahrhunderten die ersten Pfahlbauersiedlungen im Alpenraum entdeckt wurden, haben Forscher wie in keiner anderen Gegend der Welt das Leben einer Gesellschaft von Bauern und Züchtern rekonstruieren können. Sie haben dazu beigetragen, das fehlende Glied zwischen den Völkern der prähistorischen Jäger und Sammler und den ersten grossen europäischen Zivilisationen zu rekonstruieren.

In Deutschland war es Kaspar Löhle aus Wangen am Untersee, der als erster Pfahlbauten am Bodensee entdeckte.

Vor 20 Jahren entdeckte ein Ehepaar am Similaunpass in den Alpen die Leiche eines Mannes, die bald als die gut erhaltenen Überreste des Steinzeitmenschen Ötzi bestimmt wurde - ein Jahrhundertfund, der uns neue Dimensionen für die Erforschung dieser Geschichtsepoche eröffnete und großes Interesse wie auch eifrige Diskussionen hervorrief.

Eben solches europaweites Interesse und solche Diskussionen folgten den Entdeckungen Kaspar Löhles - ebenso ein Jahrhundertfund. Löhle eröffnete erst den geschichtlichen Raum, in den später Ötzi eingeordnet werden konnte. Und die 20 Jahre nach seiner Entdeckung sind ebenso erfüllt von weiteren Entdeckungen, Auswertungen der Funde, gegensätzlichen Thesen, neuen Fragen, wissenschaftlichen Tagungen und Sensationsmeldungen der Presse. Bis mindestens 1875 hat Kaspar Löhle seine Beiträge dazu geliefert. Grund genug, uns mit dieser bedeutenden Persönlichkeit einmal genauer zu beschäftigen.

Die Entdeckung der ersten Pfähle an Seeufern führte zu einer romantischen Vorstellung von Volksgruppen, die auf dem Wasser lebten, in Häusern auf hölzernen Plattformen, durch Brücken und Gehwege miteinander verbunden. Ausstellungen, Bilder, Kalender, Schulbücher und Romane zementierten während vielen Jahrzehnten dieses Bild.

In früheren Zeiten bestanden kleinere Dörfer in der Regel aus weniger als 50 Menschen, die in 5 bis 10 Häusern lebten. In der Bronzezeit zählten Dörfer bereits bis zu 50 Häuser, in denen sich einige hundert Menschen aufhielten. Die Leute lebten von der Landwirtschaft – fast nur Getreideanbau – und von Kühen, Schafen und Schweinen, aber auch von Jagd und Fischerei sowie dem Sammeln von Kräutern und Früchten im Wald.

Werkzeuge aus Holz und Stein, Schuhe und Kleider aus aufgeweichter Rinde, Keramik, Schmuck, Räder, Kanus und erste Produkte aus Metall zeugen von den Fähigkeiten der Pfahlbauer. Und sie dokumentieren den technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in einer Ära, die trotzdem ein grosses Mysterium bleibt: Auch heute noch wissen wir praktisch nichts über Kultur, Rituale und Sprache dieser Vorfahren.

Im ganzen Alpenbogen wurden ungefähr 1000 Pfahlbauersiedlungen entdeckt.